Alte Messe FFM

Die lateinische Sprache

Eine der wohl bezeichnendsten äußeren Eigenschaften des überlieferten Ritus der römischen Liturgie ist die Tatsache, dass sie vollständig auf Latein gehalten wird — die Predigt natürlich ausgenommen. Diese gehört jedoch auch nicht zur eigentlichen Liturgie, denn sie ist nicht Teil des öffentlichen Kultes der Kirche. Somit kann und muss man korrekterweise sagen, dass die gesamte Liturgie in lateinischer Sprache gehalten wird. Doch warum eigentlich?

Beim Turmbau zu Babel überschritt der Mensch seine Grenzen und wollte sich aus eigener Kraft in den Himmel emporschwingen: „ So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen“ (Gen 11,4). Gott stieg herab, verwirrte ihre Sprache und zerstreute die Menschheit (vgl. Gen 11,7) als Reaktion darauf. Babel wird zum Symbol der Verwirrung und Zerstreuung der Menschheit. Was einst in Babel seinen Ursprung nahm, wurde an Pfingsten geheilt: Der Heilige Geist gab jedem die Gabe, die Apostel in seiner jeweiligen Sprache zu hören (vgl. Apg 2,6-8). Dieses Wunder von Pfingsten hören wir bis heute in der überlieferten Liturgie durch die einheitliche Sprache — wie im Anfang.

„Der Gebrauch der lateinischen Sprache, wie er in einem großen Teil der Kirche Geltung hat, ist ein allen erkennbares und schönes Zeichen der Einheit und eine mächtige Schutzwehr gegen jegliche Verderbnis der wahren Lehre.“

Papst Pius XII., Mediator Dei 60

Das Latein ist die Sprache der römischen Kirche und gewissermaßen die Muttersprache der Katholiken. Sie drückt die tiefe innere Einheit der Kirche äußerlich aus, nicht bloß in Dokumenten und dem Lehramt. Weil die Liturgie „Quelle und Höhepunkt“ (vgl. SC 10) allen kirchlichen Lebens und Handelns ist, gewinnt die lateinische Sprache als Ausdruck der Einheit hier ihre höchste Bedeutung: Überall auf dem Erdkreis wird die überlieferte Liturgie in ein und derselben Sprache gefeiert. Es macht keinen Unterschied woher jemand kommt, man ist durch sie überall zu Hause und findet sich zurecht.

Ein weiterer Aspekt der lateinischen Sprache für die Liturgie ist die geheimnisvolle Verhüllung des Mysteriums. Was sich in der Feier der Liturgie vollzieht, ist nicht von dieser Welt: Wir treten ein in den himmlischen Tempel Gottes, der gegenwärtig wird auf Erden und uns zum Schöpfer emporhebt. Diesem Geheimnis können wir uns nur nähern, es aber nie ganz verstehen. Das kommt durch eine besondere Kultsprache (wie es sie auch in anderen katholischen Riten gibt) ebenfalls zum Ausdruck.

„[Latein] erweckt keinen Neid, ist allen Völkern gleich zugänglich, ergreift für niemanden Partei und ist allen eine angenehme Freundin.“

Papst Johannes XXIII., Veterum sapientia 3

Die zeitlose Sprache des Lateinischen, die keiner Veränderung durch alltäglichen, profanen Gebrauch unterworfen ist, schützt dadurch den Bestand der Liturgie und den Glaubensschatz, der in ihr gefeiert und weitergegeben wird. So verbindet es uns nicht nur mit der Kirche in der Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch mit zukünftigen Generationen in ein und demselben Glauben, ein und derselben Feier. Latein wohnt eine besondere sprachliche Würde und Kunst inne, welche der Liturgie höchst angemessen ist, da diese schließlich heilig und nicht profan, besonders und nicht alltäglich ist. Diese Würde hat ihren Ausdruck auch im gregorianischen Choral gefunden, der so eng mit der lateinischen Sprache verbunden ist, dass es unmöglich ist, die beiden zu trennen. Ohne Latein gibt es keinen Choral.

Versteht man dann überhaupt etwas?

Seit nunmehr etwa 50 Jahren haben sich Katholiken daran gewöhnt, in der Messe alles klar, deutlich und in der eigenen Sprache zu hören. Wer in der Messe nach dem Messbuch Pauls VI. heute noch auch nur einige wenige Worte auf Latein hört, gehört zu einer glücklichen Minderheit. Im Angesicht dieser Tatsache kann man mit gutem Grund fragen: „Warum würde ich in eine Messe gehen, bei der ich (fast) nichts verstehe?“ Das II. Vatikanische Konzil (1962-65) hat in seiner Konstitution über die hl. Liturgie Sacrosanctum Concilium ausdrücklich die Erhaltung und Förderung der lateinischen Sprache gefordert (vgl. Nrn. 36 und 54), wenngleich es auch der Volkssprache mehr Raum gewährte. Diese Anordnung wird heute kaum noch beachtet, jedoch zeigt sie, dass auch die Konzilsväter — entgegen mancher Behauptung — den hohen Wert der lateinischen Sprache für die Liturgie erkannten und schätzten.

Was heißt eigentlich „Verstehen“? Hat man etwas wirklich „verstanden“, nur weil es in der eigenen Sprache gesagt worden ist? Wohl kaum. Ein Blick in die heutige Welt zeigt schnell, dass viel mehr geredet als tatsächlich verstanden – das heißt begriffen! – wird. Wahres „Verstehen“ eines Textes ereignet sich im Ergreifen im Herzen und in der Vernunft des Menschen. Wir verinnerlichen einen Text, meditieren ihn, erwägen ihn und bewegen seine Worte in unserem Herzen, wie es auch die Gottesmutter tat (vgl. Lk 2,19).

Hier zeigt sich ein großer Vorteil der überlieferten Liturgie: Der einjährige Lesezyklus — d.h. die Wiederholung derselben Texte Jahr für Jahr — gibt den Mitfeiernden auf pädagogisch wertvolle Weise die Möglichkeit, sich die gehörten Worte anzueignen und jedes Jahr tiefer zu begreifen. Eindrucksvoll unterstrichen wird dies durch den Gesang in der Liturgie. In ihrer Vollform, ihrem Ideal, wird die Liturgie stets gesungen: Von den gleichbleibenden Teilen („Ordinarium“, etwa Kyrie, Gloria, etc.) abgesehen, bildet das „Proprium“ — die wechselnden, eigenen Teile eines Tages — den Kernbestand des liturgischen Gesanges. Die gregorianischen Melodien meditieren das Wort Gottes und machen es so unserer Seele, dem Herzen und unserem Verstand so besonders zugänglich.

Für jene, die die Texte trotzdem auf Deutsch lesen möchten, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, etwa den klassischen „Schott“ oder das in jüngeren Jahren neu veröffentlichte „Volksmissale“, in dem alle liturgischen Texte lateinisch-deutsch übersetzt sind. So kann man sich schon vor der Hl. Messe mit den Texten vertraut machen und sie dann in der Feier in ihrer ganzen Schönheit immer tiefer durchdringen — Tag für Tag, Jahr für Jahr. Die Erfahrung lehrt, dass man durch den andächtigen Besuch der Messe und durch die Beschäftigung mit einem Volksmessbuch von ganz allein auch in die lateinische Sprache eindringt und sie zu verstehen beginnt.